Von der Spekulationsblase zur Mieter*innengewerkschaft: das Sindicat de Llogateres aus Barcelona

In Barcelona sind die Mieten in den letzten Jahren rasant gestiegen, die COVID-19 Pandemie hat die Situation noch zusätzlich befeuert. Im Vergleich zu Berlin ist der Anteil an Mietwohnungen mit weniger als 40% viel geringer. Davon gehören 5-10% großen Wohnungskonzernen, 20% mittelgroßen Vermieter*innen und der Rest Kleinvermieter*innen. Mietverträge sind in der Regel auf ein paar Jahre befristet. 

Während Mieter*innen von Großkonzernen in der Pandemie mit einigen, wenn auch wenig effektiven Maßnahmen unterstützt wurden, haben Mieter*innen von Kleinvermieter*innen, also der Großteil der Mieter*innen, keine staatliche Unterstützung bekommen. Ähnlich wie in Berlin wurde im Oktober 2020 ein Mietendeckel eingeführt, der nun vor Gericht verhandelt und auf dessen Urteil gewartet wird. Auch hier spekulieren Vermieter*innen auf ein Kippen des Deckels und führen in ihren Mietverträgen fragwürde Klauseln an, wie z.B. Schattenmieten. 

Gegen diese und andere ausbeuterische Praktiken kämpft das Sindicat de Llogateres. Das Mieter*innengewerkschaft gibt es seit 2017 und umfasst zum aktuellen Stand 2000 Haushalte. Seit ihrer Gründung hat sich ihre Struktur immer wieder gewandelt und den praktischen Erfahrungen angepasst. Nun baut sie auf drei Hauptorganen auf, die sich alle zwei Wochen treffen und jeweils zu den Themen Kommunikation, Organisation sowie kollektive Aktionen arbeiten. Des weiteren gibt es eine Koordinationsrunde für die großen Entscheidungen und eine große Vollversammlung einmal im Jahr.

Im Moment arbeiten drei Personen hauptamtlich für die Gewerkschaf, die Basis der Arbeit bilden jedoch die Mitglieder. Jeden Freitag findet eine offene Versammlung statt, die für alle (auch Nicht-Mitglieder) offen ist. Bei dem Treffen werden praktische Ratschläge gegeben, kollektive Entscheidungen über Strategien und Aktionen entschieden. 

Das Sindicat organisiert jeden Sommer eine Sommerschule für Mieter*innegewerkschaften und  wohnungspolitische Initiativen, zu denen die MGB auch eingeladen wurde. Wir stehen also weiterhin im Austausch und sind gespannt, mehr von ihnen zu lernen. 

Im Folgenden teilen wir einen Text über die Entstehungsgeschichte und die Kämpfe der Gewerkschaft, der uns vom Sindicat de llogateres zur Verfügung gestellt wurde.

Von der Spekulationsblase zur Mieter*innengewerkschaft

Als wir 2017 die Mieter*innengewerkschaft (Sindicat de Llogateres, SLL) ins Leben riefen, befanden wir uns in einer schlimmen Situation. Obwohl die Hypothekenblase geplatzt war und tausende Menschen aus ihren Wohnungen verdrängt worden waren, war das wichtigste Anliegen der Politik, die Preise fürs Wohnen steigen zu lassen. Die Krise war noch im vollen Gange, doch Immobiliengewinne sollten wiederhergestellt werden. Die Lösung bestand darin, die Spekulation vom Eigentums- auf den Mietmarkt zu verlagern. Im Jahr 2012 stellte der Staat mehr als 110 Milliarden Euro zur Verfügung, damit Banken und Fonds Häuser horten und die Miete für tausende von Familien erhöhen konnten, wobei sie auch noch weniger Steuern zahlen müssen als alle anderen. 2013 wurden Mietverträge auf drei Jahre befristet und Zwangsräumungen erleichtert, um sicherzustellen, dass die Mieten überall schnell steigen konnten. Sie nannten das “eine größere Dynamik”.

Das Ergebnis dieser Reformen zeigte sich sofort: In nur wenigen Jahren stiegen die Mieten sprunghaft an. Es folgten Verarmung und Verdrängung. Unzählige Menschen stehen unter Druck, weil sie sich entscheiden müssen, ob sie 30% mehr Miete zahlen oder ihre Wohnung verlassen. Viele müssen feststellen, dass sie nicht einmal Zugang zu einer Wohnung haben, weil sie am Wohnungsmarkt diskriminiert werden, während Wohnungen immer noch für touristische Zwecke umgenutzt oder spekulativ leer gehalten werden.

In der Tat ist das ein Problem, mit dem wir schon lange zu kämpfen haben. Alle seit den 1980er Jahren ergriffenen Maßnahmen sind Teil eines dauerhaften Angriffs auf den Wohnraum und die kollektive Würde. Ob nun der Schutz jener Personen, die keine andere Wahl haben, als zur Miete zur leben, systematisch abgebaut wird, oder der Aufbaus eines öffentlichen Bildungs- und Gesundheitssystems verhindert wird. Der Kapitalismus arbeitet seit langem daran, ein absolut lebensnotwendiges Gut, von dem viele weiteren Rechte abhängen, in eine Ware zu verwandeln.

Die Gewerkschaft entstand aus dem Wunsch, diese Realität umzukehren. Unser langfristiges Ziel ist es, Wohnungen vom Markt zu nehmen, um ein würdevolles Leben zu gewährleisten. Gleichzeitig zu wissen, dass der Weg, um uns diesem Ziel anzunähern, darin besteht, auf dem Wohnungsmarkt, welcher das Leben vieler Menschen bestimmt, die Oberhand zu gewinnen. In den drei Jahren, seit es uns gibt, hat unsere Gewerkschaft nie aufgehört, Schritte in diese Richtung zu gehen:

1. Im Februar 2018 haben wir die Kampagne #EnsQuedem (#WirBleiben) des zivilen Ungehorsams gegen widerrechtliche Mieterhöhungen und unsichtbare Verdrängung gestartet. Dies öffnete uns den Rahmen für Tarifverhandlungen und brach die Isolation vieler Mieter*innen. Eine Reihe von kleinen Streiks, Versammlungen und störenden Protesten begann, unterstützt von Massendemonstrationen wie denen, die von den Medasil oder Azora-Vernetzungen (Mieter*innen zweier großen Wohnungskonzerne in Barcelona) angeführt wurden. Seitdem können mehr als tausende der SLL nahestehenden Menschen durchatmen: Sie haben nun eine günstigere und stabilere Miete. Dazu kommen noch alle, die indirekt davon profitiert haben.

2. Es ist all diesen Menschen zu verdanken, die gegen mit zivilem Ungehorsam gegen Gesetz verstoßen haben, dass wir im März 2019 weiter damit vorangeschritten sind die Spielregeln zu ändern: Die Mietverträge gelten nun 5 oder 7 Jahren, Maklergebühren müssen von der Vermieter*in gezahlt werden, zumindest wenn es sich um ein Unternehmen handelt, und die Kaution kann leichter zurückgefordert werden kann, wenn sie zu Unrecht zurückgehalten wurde. Im September 2020 sind wir einen neuen Schritt gegangen: mit dem Anstoß eines Gesetzes, das Mietsteigerungen ein Ende setzt und zu Mietsenkungen führt.

3. Die Gewerkschaft ist zu einer Anlaufstelle im Kampf gegen die stetigen Angriffe durch Immobilienwirtschaft und mieter*innenfeindliche Klauseln in Mietverträgen geworden. Seit Juli 2018 haben wir mehrere Verwaltungs- und Gerichtsverfahren gegen große Vermieter*innen eingeleitet, bei denen Geldstrafen verhängt wurden. Diese könnten einen Präzedenzfall darstellen.

4. Neben dem Aufbau unserer Verhandlungsmacht und der Gewährleistung von Rechten auf dem Wohnungsmarkt haben wir den Ausbau von bezahlbarem Wohnraum aktiv vorangetrieben. Einerseits kämpften wir für die Umwandlung von leerstehenden bzw. für den touristischen Markt genutzte Wohnungen in bezahlbare Mietwohnungen. Auf der anderen Seite erkämpften wir neue Vorschriften, nach denen private Bauträger bei neuen Immobilienentwicklungen geschützte Wohnungen bauen und sicherstellen müssen, dass diese niemals in Eigentumswohnungen umgewandelt werden können.

Diese ersten Meilensteine sind nur ein Teil dessen, was die Gewerkschaft vor allem dank ihrer sozialen Basis von mehr als 2.000 Haushalten, erreicht hat. Aber auch dank der Wohnungsbewegung und vieler anderer Organisationen. Dank all jener können wir heute sagen, dass unsere Organisation, die ohne externe Finanzierung gegründet und aus dem Nichts geboren wurde, zu einem Referenzpunkt geworden ist. Aber wir können nicht selbstgefällig sein: Wenn wir die vor uns liegenden Herausforderungen bewältigen wollen, ist es wichtig, die Basis zu erweitern und 4.000 Mitglieder zu erreichen. Wenn ihr einen entscheidenden Beitrag zur Transformation der Realität leisten möchten, werdet Mitglied in der Gewerkschaft. Mit einer einzigen Geste helft ihr euch selbst und zugleich vielen anderen.