Bericht zur Veranstaltung: Soziale Mieten? … brauchen Widerstand – Vernetzungstreffen / Kiezkongress am 27. März 2022

Bild der Veranstaltung mit Publikum und Redner*innen

Mindestens 3.600 Haushalte sind allein in Pankow in den nächsten Jahren von den auslaufenden Mietpreis- und Belegungsbindungen betroffen. Im Prenzlauer Berg ist das ein Rest einer langjährigen Verdrängungswelle. Wer jetzt noch hier wohnt, inzwischen oder wieder hergezogen ist, der*die bezahlt häufig Mieten, die sich wirklich Wenige vor 10 Jahren überhaupt vorstellen konnten, hat eine Wohnung gekauft, oder aber wohnt in diesen letzten sogenannten geförderten Wohnungen. Von einem der ärmsten Stadtbezirke wandelte sich der Prenzlauer Berg innerhalb von 30 Jahren in einen der reichsten Bezirke der Stadt. In ganz Pankow sind 30 Jahre nach dem Mauerfall ungefähr 85% der Bevölkerung teils freiwillig, teils zwangsweise verzogen. Privatisierungswellen und Finanzmarktlogiken machten diesen Bezirk auf Grundlage einer verheerenden, eigentumsbegünstigenden Mieten- und Modernisierungspolitik auf Senats- und Bundesebene allerspätestens Ende der 90er Jahre zu einem bevorzugten Ort für Betongold. In den letzten 10 Jahren setzten sich dann in ganz Berlin Mieten durch, die keinerlei Bezug mehr zur Realität der Stadtbevölkerung haben. Heute wissen wir alle, dass es für die meisten unmöglich ist, eine bezahlbare Wohnung in dieser Stadt zu finden.

Jeder Eigentümerwechsel und jeder Förderauslauf kommen deshalb für die Bewohner*innen einer Hiobsbotschaft gleich. Das Kieztreffen Pankow findet sich damit nicht ab und kämpft aktiv für das Recht auf Wohnen, den Schutz vor Verdrängung und eine solidarische Nachbarschaft in Pankow! Deshalb haben wir die Mieter*innen der betroffenen 3.600 Wohnungen per Flugblatt zum Kiezkongress „Soziale Mieten? … brauchen Widerstand!“ im Haus der Demokratie und Menschenrechte eingeladen – pünktlich zum Housing Action Day am 27.03.2022!

Doch wer zum Kiezkongress kommt, ob es 10, 100 oder 1.000 sein werden, ob aktiv oder eher passiv, ob schon organisiert oder noch vereinzelt, dass konnten wir vorher nicht wissen. Denn eine Folge von Verdrängung und des um sich greifenden Wohneigentums ist die Vereinzelung der Anwohner*innen. Resignation und die Überzeugung, dagegen nicht anzukommen, tun ihr übriges.

Die letzten Wochen waren für uns turbulent. Neben Arbeit, Familie und Freund*innen haben wir die Veranstaltung Stück für Stück der Umsetzung nähergebracht, Ideen gegeneinander abgewogen und versucht, jede noch so kleine Kleinigkeit zu bedenken, und keine Wohnung zu vergessen. Auch das Kiezteam Pankow von Deutsche Wohnen & Co. Enteignen haben beim Flyern und bei der Veranstaltung unterstützt – das war ein Gemeinschaftswerk!

Das Kieztreffen Pankow wurde gerade einmal im Frühling 2021 initiiert, ist also jünger als 1 Jahr. Aus einer winzigen Gruppe ausgehend von der Heimstadenvernetzung, dem Mieterforum Pankow und der Mieter*innengewerkschaft erwuchs der Kreis eines offenen, stadtpolitischen Forums. An Betätigungsfeldern allerdings mangelte es uns nicht. So ging es im Frühling und den Sommer 2021 hindurch auch direkt um zahlreiche Vorkäufe im Bezirk und seine Grenzen hinweg. Darunter die Flora 68, die Choriner 12 und die Alte Schönhauser 26, sowie Schönhauser Allee 135 und 135a. Es schien, als prasselten schlechte Nachrichten nur so auf uns ein. Der Mietendeckel fiel viel schon vor Beginn des Kieztreffens, das kommunale Vorkaufsrechtetwas etwas später. So hat die Bundesebene noch die minimalsten Schutzräume, die diese Gesetze versprachen, abgeschafft. Aber mit jedem weiteren teilnehmenden Haus kam auch die gemeinsame Kraft. Häufig sind es einzelne Mieter*innen, auf deren Schultern der Kampf ihrer Häuser zu liegen scheint. Wir helfen bei der Hausgemeinschaftsgründung, denken gemeinsam laut und spielen Tischtennis, demonstrieren, verschaffen uns Gehör im Bezirk und schmieden mitunter notwendige Allianzen. Häufig im schönen Hof der Kastanienallee 12 bei Nina und ihrer Familie, die wiederum selbst dem anstehenden Verkauf entgegensehen. Andere im Kieztreffen sind von Modernisierung betroffen, von Umwandlungen und Eigenbedarf oder sonst wie von skrupellosen Vermieter*innen. Manche betrifft das schon in einem Jahr, andere zählen einen Countdown von 7 oder 9 Jahren runter bis „die politischen Entscheidungen von Menschen, die bereits in Rente oder nicht mehr erreichbar sind“, wie es Andrej Holm während der Veranstaltung treffend formuliert, ihre Vollendung finden. Wieder andere leben einfach seit Jahren auf einer Art Baustelle oder liegen in endlosen Rechtsstreitigkeiten. Im Laufe der Zeit kommen mehr als 20 Häuser zusammen.

Die Bilanz soweit: 3 Häuser haben ihren Vorkauf erreicht, anderen schnappte der Wegfall der Regelung den Erfolg vor der Nase weg. Wir feiern das eine, erholen uns von den Anstrengungen eines ziemlich langen Kampfes, und staunen über das andere, wie es kontinuierlich unsere schlimmsten Vorstellungen übertrifft. Zwischendurch sorgt der Volksentscheid für einen Moment der Hoffnung und bei jedem Treffen ist klar: wir sind nicht allein!

Unser nächstes Thema waren nun also die auslaufenden Sozialbindungen. 3.600 Haushalte waren geladen. Die Spannung stieg. Womit konnten wir rechnen? Womit rechneten die Geladenen? Geht dann irgendetwas davon auf?

Der Kiezkongress versuchte den Spagat zwischen einer informativen Veranstaltung, die einen Überblick über die Lage verschafft, und einem Vernetzungstreffen, das die Betroffenen zusammenbringt und ihnen Handlungsspielräume aufzeigen kann. Politische Handlungsspielräume sollen das sein, denn ohne laut zu werden, ohne Unruhe zu stiften – auch das wird auf der Veranstaltung noch klarer – beschäftigt sich kein Mensch mehr mit diesem Thema.

Mindestens 70 Personen kommen dann. Draußen scheint die Sonne, es ist Sonntagnachmittag; viele berichten von mehr interessierten Nachbar*innen. Manche verteilen den gefundenen Flyer eigenhändig weiter, andere haben nur von der Veranstaltung gehört und bringen ähnliche Themen mit. Es gibt einen Riesenbedarf an Austausch, interessierte Einwürfe, gute Vorschläge und viele Fragen. Bei jeder einzelnen Veranstaltung zu einem mietenpolitischen Thema gibt es tausend Fragen. Als würden wir alle in einem Wald leben, dessen Bäume wir nicht kennen. Alles Entscheidende, um die eigene Lebenssituation zu begreifen, wirkt mühsam verstellt. Durch Gesetze, die selbst diejenigen, die sie ausführen oder verteidigen kaum mehr verstehen – auch das eine klare Erkenntnis des Podiums. Ob beim Vorkauf, bei den Abwendungen, bei Mieterhöhungen und Vertragsbedingungen, ein Labyrinth von Regelungen bis zum Horizont.

Aber der Horizont ist es, den wir suchen. Und nachdem der Saal bis auf den letzten Platz gefüllt ist, beginnen sich einige Fragen zu klären: Wer wir sind, was uns sonst noch beschäftigt, wie die Problematik entstanden ist und welche rechtlichen Mittel auszuschöpfen sind. Andrej Holm startet das Podium mit einem Überblick zur verheerenden Logik der Förderprogramme, die sich als staatlicher Verdrängungsplan lesen ließen. Wo ursprünglich mit sozialverträglicher Sanierung und Erhalt der Sozialstruktur geworben wurde, entstand ein Einzugsgebiet für privatwirtschaftliche Investitionsinteressen. Die Ostberliner Sanierungsgebiete sollten in den 90er Jahren mithilfe möglichst vieler Privatinvestoren saniert werden und eine international singuläre staatliche Förderung, die keinerlei dauerhaft leistbaren Bestand zum Ziel hat, hinterlässt dem Land Berlin erhebliche Schulden. Mehr als 2/3 der Instand-, Sanierungs- und Modernisierungskosten wurden staatlicherseits übernommen. Die Gegenleistung? Nach dem Vorbild des westdeutschen Sozialbaus wurden, grob gesagt, lediglich Bindungszeiträume festgelegt, in denen die Wohnungen mit WBS vergeben werden und eine reduzierte Miete möglich ist, während sich die Eigentümer die Mieteinnahmen von der IBB aufstocken lassen. Ende der neunziger Jahre hatte das einen beruhigenden Effekt. Manche konnten bleiben. Für viele ist die Schmerzgrenze in diesen Jahren bereits erreicht.

Neben den sprunghaft ansteigenden Mieten drohen einigen der Anwesenden Umwandlung in Eigentumswohnungen oder die Kündigung wegen eines häufig nur angeblichen Eigenbedarfs. Wie es den Betroffenen den Boden unter den Füßen wegzieht, wie sich Angst breit macht und existentielle Fragen bis in die Träume vordringen, machte eine Vertreterin des Kieztreffens deutlich – es ist, als würde einem die Zukunft genommen. Worauf es dann ankomme, sei, nicht allein zu sein, ein Netz zu haben und einen Horizont: Die Existenz des Kieztreffens Pankow und der Mieter*innengewerkschaft sind in diesem Zusammenhang ganz gute Nachrichten.

Auch Andrej Holm macht deutlich: Es gibt keine individuellen Lösungen und keinen einzigen Einzelfall. Ob Umwandlung, Eigenbedarf oder schlicht unbezahlbare Mieten – es sind unheimlich viele Menschen betroffen. Die verheerenden Zustände und Perspektiven werden sich von sich aus nicht verändern. Was also sonst, als sich zusammentun?

Matthias Clausen skizziert die ersten Schritte der Vernetzung von Kotti & Co und Andrej Holm und Carola Handwerg berichten von der ein oder anderen Bewegung. Von Herausforderungen und wirksamen Schritten, und der Bedeutung, die es hat, dass die Mieter*innen selbst etwas auf die Beine stellen. Denn nur wer sich hier wehrt, hat überhaupt eine Chance, sagt Carola später noch einmal. Und so dreht sich der Rest der Podiumsdiskussion auch um die Frage, wie dieses „Betroffensein“ in Handlung fließen kann. Wir hören, wie wichtig es ist, dass sich Haus- Block-, Straßen oder sogar Bezirksgemeinschaften gründen, dass es eine möglichst lokale Vernetzung, öffentliche und gemeinsame Orte und offene Anlaufstellen gibt. Dass Menschen ganz unterschiedliche Sachen beizutragen haben und sich vieles aus den Momenten der Vernetzung entwickeln kann. Dass uns das alles niemand abnimmt, aber dass wir uns gegenseitig auch über das Thema hinaus viel mehr zu geben haben, als es uns häufig erscheint.

Spätestens beim nächsten Kieztreffen Pankow sehen wir uns wieder, sprechen weiter und stellen uns auf.

Denn am Ende des Tages finden sich tatsächlich zahlreiche Teilnehmer*innen zum regen Austausch und wir begreifen, der Verteiler wird groß. Wie es jetzt weiter geht? Das wissen vor allem die Mieter*innen selbst. Wir können da einiges unterstützen. Und so schmieden wir auch noch an diesem Abend weitere Pläne.

Lasst uns weiter im Bezirk zusammenkommen und stärker werden. Lasst uns gemeinsam einen Kiez mit aufbauen, in dem wir leben wollen. Lasst uns selbst bestimmen und lasst uns laut sein!

Die Veranstaltung fand im Robert-Havemann-SaalHaus der Demokratie und Menschenrechte statt.
Link zur Veranstaltung