Wie Mieter*innen in Toronto seit letztem Sommer ihre Miete bestreiken
Am Lake Ontario im kanadischen Toronto probt eine Mieter*innengewerkschaft aktuell ein Mittel, von dem Mieter*innen auf der ganzen Welt oft träumen: Der Mietstreik. In einem Viertel, in dem vor allem Migrant*innen aus Lateinamerika, der Karibik und Somalia leben, organisiert die Gewerkschaft seit fünf Jahren Mieter*innen und führt ähnlich wie wir kollektive Kämpfe um die Wohnbedingungen vor Ort besser zu machen. Große Investor*innen sind in den letzten Jahren in die Stadt gekommen. Ein Beispiel ist Akelius, die nach ihrem Rückzug aus Berlin mit dem Kapital in Toronto groß zu geschlagen haben. Tatsächlich ist die Wohnungskrise mit der in Berlin vergleichbar, eine neue Wohnung zu finden ist fast unmöglich.
Trotzdem und gerade deswegen hat sich die South-Weston Tenants Union im letzten Jahr entschieden, den ersten Mietstreik seit 100 Jahren zu beginnen. In vier großen Gebäuden, von denen jeweils zwei einem Eigentümer gehören, sind sie im letzten Sommer wegen den schlechten Wohnbedingungen in den Streik getreten. Das bedeutet, dass sie den Vermieter*innen kommunizieren: Wir zahlen kollektiv keine Miete bis ihr unsere Forderungen umsetzt. Genug ist genug.
„Oft stellen Leute als erstes die Frage: Ist das legal? Wir fragen zurück: Spielt das eine Rolle?“ erzählt Bruno von der Gewerkschaft. Wie auch in Deutschland sind Mietstreiks nicht verboten – eine rechtliche Absicherung gibt es für sie aber auch nicht. Im Prinzip gefährden alle Streikenden eine Räumung. Doch damit das nicht passiert, stellt die Gewerkschaft sicher, dass genug Mieter*innen mitmachen. „Wir fragen eher: Wie viele Leute machen mit? Natürlich geht das nur in großen Häusern mit 200-500 Mieter*innen und wir müssen es schaffen, dass mind. 50-70 % der Leute streiken“ berichtet Bruno, der selbst erst vor fünf Jahren aus Argentinien nach Toronto kam. Denn nur wenn eine kritische Menge teilnimmt, müssen die Eigentümer*innen evaluieren, ob sie mit dem politischen Aufschrei und Druck umgehen können, 200 Mieter*innen zu räumen. Tatsächlich sei es auch bei großen Vermieter*innen nicht der finanzielle Druck sondern der politische Druck, den sie durch Aktionen und kleine Demonstrationen verstärkten. Auch das Medieninteresse war zu Beginn riesig. Umso mehr freuten sich die Bewohner*innen der vier Häuser die aktuell ihre Miete bestreiken, als der erste Monat um war und niemand eine Kündigung erhalten hatte.
Das kanadische Recht sieht vor, dass Mieter*innen die ihre Miete nicht zahlen, automatisch eine Anhörung vor einem Wohnungsgericht mit dem Vermieter erhalten. Das macht sich die South-Weston Tenants Union zu nutze: Sie verzögern die Einzelprozesse durch alle möglichen Anträge und machen Druck, dass es zu einem großen Prozess kommt. So wird aus einem individuellen Prozess ein kollektiver Kampf.
Mittlerweile sind die Gebäude seit 9 Monaten im Streik, ca. 50 % der Mieter*innen machen mit. Erste Forderungen wurden umgesetzt und die Vermieter*innen haben sich gerade zu Verhandlungen bereit erklärt. Geräumt wurde bisher niemand. Regelmäßig einmal die Woche gehen Bruno und 20 Mieter*innen aus dem Haus zu ihren Nachbar*innen, sprechen mit allen oder organisieren auch mal einen Eiswagen, der draußen vor der Tür mit großer Sirene vorfährt und kostenlos Eis an alle Bewohner*innen verteilt. „Das tun wir um die soziale Distanz zu durchbrechen – das ist super wichtig um den Streik untereinander sichtbar zu machen“ sagt Bruno. Viele Mieter*innen haben Plakate an ihre Wohnungstür gehangen: „Ich kämpfe für meine Mietrechte. Machst du mit?“ So wird sichtbar, was unsere große Stärke ist, nämlich dass wir viele sind. Manche Leute kommen einmal zum Treffen und sagen, klar ich streike mit. Andere sind Aktivist*innen geworden „und haben jetzt das Gefühl, die Welt übernehmen zu können“ sagt Bruno. So wächst hier nicht nur eine Idee sondern auch die Erfahrung: Gemeinsam können wir Vermieter*innen die Stirn bieten.
Die Erfahrungen die Bruno und seine Nachbar*innen in Toronto sammeln, geben uns Mut für unseren Gewerkschaftskampf in Berlin. Denn die Situation ist ähnlich. Sowohl in Toronto als auch Berlin hatte es in den 1920ern große Mietstreiks gegeben – und danach bis heute nicht mehr. Der Druck auf Mieter*innen ist hoch und ein Recht auf Mietstreik gibt es dort wie hier nicht. Zeit, über einen Fahrplan für erste Mietstreiks in Berlin zu reden.