Hinweis: Die Inhalte dieser Broschüre stellen keine Rechtsberatung dar, es handelt sich lediglich um eine allgemeine Darstellung des rechtlichen Sachverhalts, bei der nicht auf individuelle Einzelfälle eingegangen wird. Stattdessen werden Beispiele, allgemeingültige Leitfäden und Vorlagen angeführt.
1. Einleitung – Was ist „Eigenbedarf“ und was empfehlen wir
Vorab: Wir nennen Eigenbedarfskündigungen → Entmietungswunsch. Denn Eigenbedarf haben wir Mieter*innen!
Dennoch ist in dieser Broschüre hin und wieder von „Eigenbedarf“ die Rede, da wir unter anderem die juristischen Abläufe schildern. Eigenbedarf bezeichnet in der Rechtsprechung lediglich den Eigenbedarf von Eigentümer*innen!
Eigenbedarf bezeichnet eine gesetzliche Regelung, die es Vermietenden erlaubt Mieter*innen, trotz unbefristeter Mietverhältnisse, innerhalb von einigen Monaten aus Ihren Wohnungen zu verdrängen. Eigentümer*innen rechtfertigen die Verdrängung mit Ihrem Wunsch, die Wohnung selbst bewohnen oder nahe Angehörige unterbringen zu wollen.
Die Motive von Eigentümer*innen und die Legitimität der Kündigung sind grundsätzlich anzuzweifeln und zu hinterfragen. Eine Kündigung zielt immer auf die Räumung der Mietenden ab, auf ihre Verdrängung aus ihrem Rückzugsort, ihrem Zuhause. Unfreiwilliger Wohnungswechsel ist auch ein Angriff auf gewachsene Gemeinschaften und Netzwerke. Wir alle leben in einem komplexen Geflecht von wechselseitigen Beziehungen. Eine Wohnung – das sind nicht nur vier Wände, das ist der Lebensmittelpunkt, Schutzraum und Sicherheit für die Bewohner*innen. Schulen, Kitas, Arbeit, medizinische Betreuung, Pflege, soziale Einrichtungen, Freizeitangebote, Beziehungen und vieles mehr befinden sich am Wohnort. Kieze und Nachbarschaften sind lokale soziale Räume, in denen Menschen zusammen leben und miteinander kooperieren.
Obwohl eine Kündigung auf die Räumung der Mietenden abzielt und ihr Grundbedürfnis nach Unterkunft missachtet, ist die Kündigung für Eigenbedarf nicht etwa verpönt, sondern unter Eigentümer*innen und sogar Mietenden erstaunlich salonfähig. Damit Räumungen und insbesondere die Kündigung für Eigenbedarf in Zukunft geächtet und abgeschafft werden, müssen Mietende ihr Recht auf ein würdevolles Leben kämpferisch und öffentlich sichtbar verteidigen. Jede widerständige Mieterin und jeder renitente Mieter tragen dazu bei, dass die Rechtfertigung für Eigenbedarfskündigungen schwieriger wird. Auch daher möchten wir Mut dazu machen, sich gegen die Kündigung zu wehren. Die Zahl der gewonnenen Prozesse gegen „Eigenbedarfskündigungen“ nimmt stetig zu.
Natürlich muss jede Mieter*in selbst entscheiden, ob sie/er in der Lage ist, vor Gericht zu gehen und ob sie/er sich dabei solidarisch unterstützen lassen möchte. Da häufig mehr als nur eine Wohnung im Haus betroffen ist, empfehlen wir in jedem Fall, sich unbedingt zu vernetzen, wenn sich ein Entmietungswunsch abzeichnet und auch wenn dieser sich nicht direkt abzeichnet. Schon kleine solidarische Handlungen können helfen. Um zu wissen, wie es um die Eigentumsverhältnisse der Wohnung steht, ist ein Grundbuchauszug notwendig, da es bis dato keine sonstigen Transparenzstellen gibt. Diese Informationen können dann im Haus geteilt werden. Umso mehr Menschen wissen, welche Fristen sie betreffen und wer Eigentümer*in ist, umso besser lässt sich damit im Mieter*innensinn umgehen.
Im folgenden Text zeigen wir diese und weitere solidarische Handlungen auf.
Wenn ihr von Eigenbedarfskündigungen in der Umgebung oder Stadt erfahrt, ist es immer hilfreich Unterstützung anzubieten. Wie in dieser Broschüre unter 4. noch erläutert, gibt es vielfältige Möglichkeiten, Menschen zu unterstützen, die sich in dieser existenziellen Situation befinden. Im besten Fall stellt sich eine Nachbarschaft hinter die bedrohten Nachbar*innen. In Abstimmung mit diesen kann dann einiges unternommen werden. Solidarität gegenüber Betroffenen zu bekunden, kann diesen helfen, sich zu wehren, stark zu bleiben, und die Situation durchzustehen. Unser Ziel als Gewerkschaft ist es, mit den Eigentümer*innen direkt zu verhandeln und ihnen gegenüber unsere Forderungen durchzusetzen. Wir als Mieter*innen müssen gemeinsam Druck ausüben, um das zu erreichen. Dafür haben wir uns eine Strategie zu eigen gemacht, mit der viele andere Mieter*innengewerkschaften in ganz Europa und Nordamerika erfolgreich sind. Dazu mehr unter Punkt 4.5.
Mieter*innen-Probleme sind keine individuellen Probleme! Sie betreffen viele, und in den kommenden Jahren werden in Berlin zehntausende Kündigungen für Eigenbedarf erwartet. Ganze Nachbarschaften sind bereits gezeichnet von den Folgen solcher Entmietungswünsche. Seitens der Stadt- und Bundespolitik gibt es kaum Ansätze, dieses Riesenproblem zu lösen.
In den folgenden Abschnitten behandeln wir entlang der Schritte, die zur Räumung von Mieter*innen führen können, wann und wie Mieter*innen ihre Wohnung verteidigen können. Akut Betroffene und solidarische Mietende laden wir herzlich ein, sich zu informieren und das Wissen kämpferisch einzusetzen.
2. Anzeichen und Hintergrund für „Eigenbedarfskündigungen“
Erste Anzeichen → Fristen
Vermieter*innen setzten die Kündigung für Eigenbedarf in ganz typischen Situationen ein; manchmal auch einfach, weil sich die Möglichkeit dazu eröffnet. Hier wollen wir diese typischen Situationen benennen, damit Mietende frühe Anzeichen einer drohenden Kündigung erkennen und erste Gegenmaßnahmen ergreifen können.
Die Kündigung für Eigenbedarf erfordert, dass Eigentümer*innen natürliche Personen sind (also ein Mensch und keine Firma); dass bestimmte Schutzfristen vollendet sind; und dass der/die Eigentümer*in behaupten kann, sie/er oder nahe Angehörige möchten in der Wohnung leben.
a) Vermieter*innenwechsel: Kauf durch natürlich Person(en)
- Ein Verkauf der Wohnung (oder des gesamten Mietshauses) an eine/mehrere natürliche Personen birgt immer das Risiko einer Kündigung, da eine entmietete und folglich leere Wohnung (i) von Eigentümer*innen selbst bewohnt werden kann; (ii) sprunghaft den Marktwert des Eigentums steigert; oder (iii) ein neues, profitableres Mietverhältnis gestaltet werden kann, da bei Neuvermietungen andere Mietpreise möglich sind. Häufig werden solche Mietpreissteigerungen schon in den Krediten zum Kauf eingepreist. Teilweise finden sich in Wohnungsverkaufsanzeigen die Daten des Ablaufs der Fristen.
b) Ablauf der Schutzfristen
In Berlin gelten drei verschiedene Schutzfristen für Mietende, die ihre Wohnung vor der Umwandlung und dem Verkauf angemietet haben
- 10 Jahre ab Umwandlung und Verkauf – Diese Frist soll Mietende schützen, die ihre Wohnung vor der Umwandlung und dem Verkauf angemietet haben. Erst 10 Jahre nach dem ersten Verkauf nach Teilung des Hauses in Eigentumswohnungen kann den Mietenden gekündigt werden. Viele Eigentümer*innen veranlasst das Ende der Schutzfrist zu kündigen. (Deshalb sollten sich Mietende dringend informieren, wer die aktuellen Eigentümer*innen sind und wann ihre Wohnung umgewandelt wurde. Das geht beim Grundbuchamt, siehe Abschnitt 4).
- 12 Jahre nach Aufteilung eines Mietshauses (in Milieuschutzgebieten!) – In Milieuschutzgebieten dürfen Vermieter*innen nach der Aufteilung ihres Mietshauses in Eigentumswohnungen die ersten 7 Jahre die Wohnung nur an die Mietenden der jeweiligen Wohnung verkaufen. Danach gelten nochmal 5 Jahre Schutzfrist, in denen die Kaufenden nicht wegen Eigenbedarf kündigen können (wie oben), also insgesamt 12 Jahre ab der Aufteilung im Grundbuch. Diese Frist schützt nur Mietende, die ihre Wohnung vor der Aufteilung angemietet haben.
- 7 Jahre nach Aufteilung eines Mietshauses (in Milieuschutzgebieten) – Hat ein/e Mieter*in ihre Wohnung erst nach der Aufteilung angemietet, ist sie nur für die 7 Jahre geschützt, ab dem Tag der Aufteilung im Grundbuch.
Es gibt keinen Schutz für Mietende, die erst nach Aufteilung gemietet haben. Wer außerhalb eines Milieuschutzgebietes eine Wohnung von einer/mehreren natürlichen Person(en) anmietet, hat keine besondere Schutzfrist, sondern nur die üblichen Kündigungsfristen.
c) Kinder des/der Vermieter*in werden volljährig (18 Jahre alt)
- Da die Kündigung mit dem Bedarf der erwachsenen Kinder gerechtfertigt werden kann, nutzen manche Vermieter*innen die Volljährigkeit ihrer Kinder unverzüglich aus, um Mietende zu verdrängen.
Wenn Mieter*innen eines dieser frühen Anzeichen bemerken, sollten sie beginnen, ihre Verteidigung gegen eine mögliche Kündigung vorzubereiten. Konkrete Maßnahmen beschreiben wir in den anschließenden Abschnitten.
Ablauf – Wie wird aus einem Mietshaus ein Haus bestehend aus Eigentumswohnungen?
Eigenbedarfskündigungen gibt es in umgewandelten und nicht umgewandelten Häusern.
Der Berliner Mieterverein schreibt dazu:
Die Umwandlung eines Mehrfamilien-Miethauses in Eigentumswohnungen ist für die Umwandler meist ein lukratives Geschäft. Nicht selten werden spekulativ überhöhte Kaufpreise für das Mehrfamilienhaus in Erwartung hoher Profite beim Verkauf der Einzelwohnungen gezahlt. Eine „mieterfreie“ Wohnung kann teurer verkauft werden als eine vermietete. Also werden bei „umgewandelten“ Wohnungen Mietverhältnisse häufig gekündigt oder Mieter*innen „rausgekauft“.
Berliner Mieterverein
Bevor ein Haus in Eigentumswohnungen aufgeteilt werden kann, muss die Eigentümerin eine Abgeschlossenheitsbescheinigung beim Bauamt beantragen. Diese zeigt an, dass die Eigentumswohnung baulich hinreichend von anderen Wohnungen und Räumen abgetrennt sind. Derzeit werden für zahlreiche Wohnungen in Berlin Abgeschlossenheitsbescheinigungen ausgestellt, um eine Umwandlung in Eigentum vorzubereiten.
Wenn das Haus in einem Milieuschutzgebiet liegt, ist die Umwandlung in Eigentumswohnungen nur mit Genehmigung durch das Bezirksamt zulässig. Die Bezirksämter erteilten diese Genehmigungen unter Auflagen jedoch zumeist: Wird eine Mietwohnung während des Mietverhältnisses in eine Eigentumswohnung umgewandelt und die Wohnung verkauft, ist wie oben aufgeführt für die Frist von 10 Jahren (Frist beginnt mit Eintragung des Kaufenden als Eigentümer*in im Grundbuch) eine Kündigung wegen „Eigenbedarfs“ ausgeschlossen. (In Milieuschutzgebieten sind es 7 Jahre plus 5 Jahre.)
In den ganz Berlin gilt derzeit ein „Umwandlungs-Verbot“ (oder auch Aufteilungsmoratorium), dass gemäß Umwandlungsverordnung (Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin 77. Jahrgang, Nr. 73) ab 07.10. 2021 bis 31.12.2025 auf Grundlage § 250 BauGB eingesetzt wurde. Das heißt, dass derzeit (mit vereinzelten Ausnahmen) keine weiteren Mietshäuser in Eigentumswohnungen aufgeteilt werden. Dennoch gibt es zahlreiche Wohnungen, die längst umgewandelt sind und der Verkauf dieser Wohnungen geht nach Ablauf der genannten Fristen auch in allen Milieuschutzgebieten munter weiter. Sind diese genannten Fristen abgelaufen, endet also der Schutz vor Entmietungswunsch.
Von welcher Größenordnung sprechen wir?
Auf seiner Internetseite teilte der „Deutsche Mieterbund“ 2019 mit, dass Eigenbedarfskündigungen der häufigste Kündigungsgrund bundesweit seien. Er schätzt die Zahl von „Eigenbedarfskündigungen“ auf 80.000 jährlich. Alleine im Jahr 2020 hat es laut Berliner Mieterverein 15.000 Verfahren wegen „Eigenbedarfskündigung“ in Deutschland gegeben. Schon 2018 sagten vom RBB befragte Richter*innen am Landgericht Berlin, dass Verfahren wegen „Eigenbedarfskündigungen“ der häufigste Grund für Mietrechtsverhandlungen seien. Schwer zu schätzen ist jedoch, wie viele Mieter*innen ohne Gerichtsverfahren still und leise ihre Viertel und Kieze verlassen.
Berlinweit wurden seit 2013 rund 160.000 Wohnungen in Eigentum umgewandelt. Zum Beispiel wurden allein in Friedrichshain-Kreuzberg etwa 48 Prozent aller Wohngebäude bereits in Eigentumswohnungen aufgeteilt.
In den nächsten Jahren wird derzeit für Berlin mit 100.000 Eigenbedarfskündigungen gerechnet (Quelle). Hier findet sich eine ausführliche Analyse der Situation in Berlin: https://www.bmgev.de/mieterecho/archiv/2023/mieterecho-436-oktober-2023/
3. Empfehlungen bei Wohnungsverkauf
Was tun bei Verkauf
Viele erfahren von dem Verkauf ihrer Wohnung erst, wenn ein Makler oder eine Maklerin sich meldet. Eine „Eigenbedarfskündigung“ muss keinesfalls auf den Verkauf folgen. Dennoch steigt die Gefahr dafür. Die meisten Mieter*innen wissen gar nicht, wem ihre Wohnung gehört und ob es sich um eine Eigentumswohnung handelt. (Eigentumswohnungen sind Wohnungen, die im Grundbuch separat geführt werden und daher einzeln verkauft werden können.) Es ist nie zu früh, das herauszufinden und sich gegebenenfalls vorzubereiten.
Maklerkontakt
Wenn ein/eine Makler*in direkt bei euch melden sollte, verstößt dies gegen Datenschutzbestimmungen, da die Vermietung im Vorhinein darüber informieren muss, wenn Mieter*innen-Daten weitergegeben werden. Für eine solche Weitergabe von personenbezogenen Daten gegenüber Dritten, ohne dass die Mieter*innen informiert werden, kann auch Bußgeld erhoben werden. Konkrete Schritte wären hier: eine Anzeige beim Datenschutzbeauftragten; eine Auskunft über gespeicherte Daten von der Vermietung fordern; und/oder der Widerruf evtl. erteilter Genehmigungen für die Daten-Weitergabe.
Solange es keine Information durch die Hausverwaltung/Vermieter*in gibt, kann der/die Makler*in theoretisch ignoriert werden. Natürlich empfiehlt sich jedoch für eine solche Handhabe bereits rechtliche Unterstützung. Dies ist der Moment, in dem sofort über einen Mieterverein eine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen werden sollte (falls nicht schon früher geschehen). Und es ist ebenso der Moment, um sich im Haus auszutauschen. Bei wem gibt es auch Besichtigungen? Wie lässt es sich gegenseitig solidarisch unterstützen?
Unsere Anleitung zur Hausgemeinschaftsbildung kann auch in diesen Fällen von großem Wert sein.
Zum Beispiel:
Für die Kommunikation mit der Hausverwaltung ist es allgemein ratsam, einen langsamen Weg einzuschlagen. So kann beispielsweise die postalische Kommunikation wertvolle Zeit für die Organisierung von Unterstützung und die Rücksprache mit eine Anwältin oder einem Anwalt ermöglichen. Keinesfalls sollte mit Makler*innen, der Hausverwaltung oder den Eigentümer*innen telefoniert oder gechattet werden. Im Gespräch können Eigentümer*innen (oder ihre Vertretung) unterschwellig Druck ausüben und so Mieter*innen zu unnötigen Zugeständnissen verleiten. Immer häufiger kommt es auch vor, dass Eigentümer*innen sich etwa unvermittelt per WhatsApp, oder Makler*innen direkt per Telefon bei Mieter*innen melden. Für diese Kommunikationswege besteht für Mieter*innen keinerlei Pflicht und um nachhaltig auf postalische Kommunikation zu bestehen, kann der/die Mieter*in eine Löschung der entsprechenden personenbezogenen Daten fordern. Wenn Vermieter*innen ihrerseits damit drohen, nicht mehr erreichbar zu sein, kann mensch darauf hinweisen, dass Hausverwaltungen telefonisch erreichbar sein und Notfallnummern angeben müssen. Ohne diese Kontaktmöglichkeiten hat der/die Mieter*in etwa das Recht bei Gefahr im Verzug selbst Handwerker*innen zu bestellen.
Kaufbesichtigung
Wenn der Makler oder die Maklerin offiziell vom/von der Eigentümer*in beauftragt worden ist, müssen Besichtigungstermine ermöglicht werden. Sowohl für einen ersten Termin mit dem/der Makler*in wie auch für alle Kaufbesichtigungen gilt: keine Fotos zulassen! Fotos von der Wohnung dürften nur gemacht werden, wenn der/die Mieter*in dies duldet. Ansonsten verletzt es seine/ihre grundgesetzlich geschützte Privatsphäre. Um sicher zu gehen, können die entsprechenden Personen gebeten werden, an der Wohnungstür ihre Kamera bzw. das Handy sichtbar zu deponieren.
In jedem Fall sollten Zeugen oder Zeuginnen jede Form von Besichtigungstermin begleiten. Dies kann hilfreich sein, um keine unnötigen Zusagen oder Aussagen von Nachteil zu machen. Unterstützende Personen können aus der Familie, aus dem Umfeld oder auch über Nachbarschaftstreffen, der Hausgemeinschaft oder über Initiativen organisiert werden. In jedem Fall verschaffen sie den betroffenen Mieter*innen mehr Rückhalt und eine andere Position in den Gesprächen. Keinesfalls sollten leichter Hand Kinder bei der Besichtigung anwesend sein. Leicht verwickelt ein/eine Makler*in diese in Gespräche oder sie müssen direkt mit anhören, was ein/eine Kaufinteressent*in mit ihrem Zimmer vorhat.
Aller Erfahrung nach erzählen Makler*innen Mieter*innen das Blaue vom Himmel, wenn es darum geht, die Wohnung zu verkaufen. Sie erhalten eine Provision pro Wohnung und stehen exakt in diesem Interesse vor euch. Manche behaupten etwa, Mieter*innen seien vor „Eigenbedarfskündigungen“ geschützt und ihnen könne nichts passieren. Andere erpressen Fotos, indem sie behaupten, auf diese Weise Käufer*innen zu finden, die den Wohnraum lediglich als Anlage weiter verwerten. (Ein hohles Versprechen, denn auch für Anleger*innen ist eine Entmietung sehr attraktiv – leere Wohnungen erzielen regelmäßig einen höheren Kaufpreis als bewohnte.) Es gibt auf diesem Gebiet unzählige Geschichten und ausreichend Anlass, Makler*innen in jeder Hinsicht zu misstrauen. In jedem Fall gilt: Nicht beirren lassen und Unterstützung suchen!
Wie viele Termine genau ermöglicht werden müssen, richtet sich durchaus nach Tätigkeit und Kapazitäten der Mieter*innen. Es ist hilfreich, Besichtigungstermine als Sammelbesichtigungen anzusetzen.
Renitenz zu signalisieren, kann einen Teil der Kaufinteressent*innen abschrecken. Selbst wenn Makler*innen diesen vermutlich häufig signalisieren, dass eine „Eigenbedarfskündigung“ keinerlei Problem darstellt, scheuen sich auch Kaufinteressierte vor Problemen. Das heißt konkret, dass ein Teil der Kaufinteressierten, die regulären „Eigenbedarf“ anmelden wollen, sich auch abschrecken lassen. In diesem Zusammenhang ist eine sichtbare Hausgemeinschaft von unschätzbarem Wert. Denn wer in ein Haus zieht, möchte sich gewöhnlich gut mit seinen Nachbar*innen verstehen. Daher ist es besonders eindrucksvoll, wenn sich etwa mehrere Nachbar*innen in der Wohnung zur Besichtigung einfinden. Solange die zu besichtigende Wohnung gut zu sehen ist, ist die Anzahl der Personen nicht begrenzt. Mieter*innen können direkt den Willen äußern, wohnen bleiben zu wollen. Ausschließlich (!) auf Nachfrage können Mietende auch Mängel nennen. Wichtig: Wenn Mietende von sich aus Mängel ansprechen, kann das gegen sie verwendet werden.
Die Arbeitsgruppe Eigenbedarf kennt keine Kündigung (kurz E3K) hat zu dem Thema einen Flyer erstellt.
Hier finden sich weitere wertvolle Hinweise für Besichtigungen.
Nachbar*innen können bei Nachfrage der Kaufinteressent*innen betonen, dass die entsprechend betroffene Mietpartei nicht vorhat, auszuziehen und, dass mit allen(!) Nachbar*innen ein sehr gutes gemeinschaftliches Miteinander im Haus besteht.
Wenn es in eurer Nachbarschaft wohnungspolitische Initiativen gibt, kann eine Kaufbesichtigung auch der Anlass für ein Treffen vor dem Haus sein. Fragt gern bei uns nach, welche Initiativen in eurer Nachbarschaft organisiert sind, die Euch unterstützen könnten.
Weiterführende Informationen:
- https://www.mietrecht.de/wohnungsbesichtigung-vermieter-recht/
- https://www.berliner-mieterverein.de/recht/infoblaetter/info-67-die-eigenbedarfskuendigung.htm#2-Wer-ist-zur-Kuendigung-berechtigt
Es gibt auch Filme, die aufgreifen, wie Besichtigungen renitenter Mieter*innen aussehen können: Stadt als Beute, Betongold
4. Vorsorge und nicht juristische Mittel zur Abwendung des Entmietungswunschs
Ein möglicher Entmietungswunsch zeichnet sich ab
1. Der/die Mieter*in sollte sich in der Regel durch Beitritt in einen Mieter*innenverein einen Mietrechtsschutz zulegen. Hier gelten tendenziell folgende Fristen:
- Berliner Mieterverein: ab 3 Monaten greift Rechtsschutz (d.h. mensch muss drei Monate vor Zugang der Kündigung Mitglied geworden sein)
- Mietergemeinschaft: ab 1 Monat greift Rechtsschutz
- Sozialamt übernimmt Kosten der Mitgliedsbeiträge bei Grundsicherung und auch Rechtskostenbeihilfe ist eine Option
Dem Entmietungswunsch zu begegnen, erfordert in jedem Fall rechtliche Beratung. (Dazu mehr unter Abschnitt 5.)
Generell empfiehlt es sich, über die eigene Wohnung hinauszudenken. Manchmal sind auch weitere Nachbar*innen im selben Haus betroffen oder der/die Eigentümer*in hat mehrere Wohnungen in der Stadt. In diesen Fällen kann es hilfreich sein, Informationen einzuholen, sich auszutauschen und auch solidarisch Rechtsschutz zu empfehlen und Vernetzung anzuregen. Darüber hinaus gibt es in einer Stadt wie Berlin zahlreiche Initiativen, die sich mit dem Thema befassen. Auch hier finden sich Ansprechpartner*innen. Neben (!) dem Rechtsschutz ist auch ein Eintritt in die Mieter*innengewerkschaftratsam. Sie kann Interessen von Mieter*innen direkt gegenüber Eigentümer*innen vertreten. Siehe 4.5.
4.1 Recherche zum Entmietungswunsch
Die Angaben aus der Eigenbedarfskündigung sollten Mieter*innen grundsätzlich hinterfragen. Es gibt zahlreiche Mittel und Wege in der Recherche, die sich lohnen können! Die eigenen Netzwerke dafür zu aktivieren und sich Tipps zu holen, kann entscheidend sein. Wenn ihr noch mehr darüber erfahren wollt, sprecht uns gerne an. Mehr zur konkreten Recherche ab Kündigungsschreiben auch unter 5.2.
Für solidarische Unterstützung und Recherche sind derzeit folgende Initiativen in Berlin aktiv:
4.2 Solidarische Nachbarschaft
Wie schon erwähnt, kann eine bestehende Vernetzung im Haus für diesen Fall von entscheidender Bedeutung sein. Möglicherweise lassen sich über Nachbar*innen Informationen zur kündigenden Person, leerstehenden Wohnungen, anderen ausziehenden Mieter*innen beschaffen, das eigene Vorgehen kann mit Nachbar*innen besprochen werden und vor Gericht oder auch bei Besichtigungen ist solidarische Unterstützung von Nachbar*innen besonders wertvoll. Zudem können immer auch weitere Nachbar*innen betroffen sein, und es lässt sich über das Vorgehen austauschen. (Zur Gründung einer Hausgemeinschaft findet ihr hier Informationen.)
Im besten Fall eröffnet ihr einen gemeinsamen Chat oder findet euch in anderen Kommunikationsmedien zusammen. Es ist von großem Vorteil, in einer solchen Situation schon in Kommunikation zu stehen.
Auch im Kiez gibt es weitere Nachbar*innen, denen euer Schicksal nicht egal ist. Es lohnt sich auf diese zuzugehen, und sich in Nachbarschafts- und Kieztreffen (vertraulich) auszutauschen.
4.3 Solidarische Prozessbegleitung & Öffentlichkeitsarbeit
Für die Öffentlichkeitsarbeit ist das Stadium des Prozesses von entscheidender Bedeutung. Dazu mehr im Abschnitt 5.
Ein Schwerpunkt von Arbeitsgruppen wie E3K ist die solidarische Begleitung von „Eigenbedarfskündigungen“. So werden Demonstrationen und Kundgebungen vor Gericht organisiert und die Verhandlung begleitet. Sowohl Richter*innen als auch Eigentümer*innen können durch diese Form des öffentlichen Protests sehen, wie groß das öffentliche Interesse an diesen privatrechtlichen Streitigkeiten ist.
„Solidarische Wohnungsbesichtigungsbegleitung“, „Solidarische Prozessbegleitung“, aber auch Kundgebungen im Kiez sind niedrigschwellig und schaffen Öffentlichkeit und eine Kollektivität der Betroffenen. Durch Protest kann der Prozess auch für Presseberichterstattung relevant werden. Wollt ihr euch an Protesten beteiligen und Betroffene unterstützen, meldet euch gern bei uns oder direkt bei den entsprechenden Initiativen.
4.4 Parallelstrategie
Parallel kann es natürlich auch von Vorteil sein, im Sinne einer Doppelstrategie erste Schritte zur Suche einer neuen Wohnung zu unternehmen. Dabei sollte die Wohnungssuche dokumentiert werden, das kann für die Räumungsfristen relevant sein. Dafür hilfreich ist, zum Beispiel bei niedrigen Einkommen, einen Wohnberechtigungsschein (WBS) zu beantragen. Da die Bearbeitungszeit einige Monate in Anspruch nimmt, kann eine frühzeitige Beantragung von Vorteil sein. Ein WBS ist allerdings nur für den Zeitraum eines Jahres gültig. Auch lassen sich Genossenschaften und Wohnungsbaugesellschaften bei akuter Wohnungssuche wegen „Eigenbedarf“ ansprechen.
4.5 Mit der Mieter*innengewerkschaft / einer Ortsgruppe vorgehen
Als Gewerkschaft ist es unser Ziel, direkt mit Eigentümerinnen zu verhandeln und ihnen gegenüber unsere Forderungen durchzusetzen. Um das zu erreichen, müssen wir als Mieterinnen gemeinsam Druck ausüben. Dafür haben wir uns eine Strategie angeeignet, mit der viele andere Mieter*innengewerkschaften in ganz Europa und Nordamerika erfolgreich sind: Die Eskalationsstufen.
Eine solche Strategie widerspricht nicht zwangsläufig dem rechtlichen Weg: Beide Vorgehensweisen können und sollten im Fall von Eigenbedarfskündigungen parallel verfolgt werden. Der strategische Fokus richtet sich nach den Erfolgsaussichten. In jedem Fall ist eine gute Rechtsberatung im Fall von Kündigungen unabdinglich. Dafür stehen wir in Kontakt mit Rechtsanwält*innen.
Grundlage für die Eskalationsstufenstrategie ist stets eine ausführliche Recherche:
Wer ist unsere Vermieterin? Wer konkret entscheidet in der Hausverwaltung über unser Haus? Wo und wie können wir unsererm Vermieterin unsere Forderungen persönlich übergeben? Welche rechtlichen Schritte lassen sich gemeinsam gehen? Und vor allem, wie und wodurch können wir über die Öffentlichkeit am besten Druck aufbauen? Die verschiedenen Möglichkeiten müssen dabei zu uns passen und anwendbar sein. Dafür stellen sich folgende Fragen: Wo liegen die kleinsten und wo die größten Risiken? Woran können sich am einfachsten die meisten Leute beteiligen? Wofür braucht es mehr und wofür weniger Vorbereitung? Ausgehend von diesen Fragen wird eine Liste mit passenden Eskalationsstufen erarbeitet, bei denen der Druck auf die Vermieter*in immer weiter steigt.
Der erste Schritt ist stets derselbe: Wir übergeben (möglichst) als größere Gruppe persönlich unseren Forderungsbrief. Dieser Brief muss so kurz und klar wie möglich formuliert sein, denn er definiert unsere Ziele und wann diese erreicht sind. Aus dem Brief muss deutlich hervorgehen, was derdie Vermieterin tun muss, um den Konflikt zu beenden. Das kann die Aufnahme von Gesprächen sein oder die Umsetzung der Forderungen. In dem Brief setzen wir eine erste Frist. Wenn diese Frist verstreicht, ohne dass die Forderungen umgesetzt wurden, erfolgt unsere erste und niedrigschwelligste Aktion. Danach setzen wir erneut eine Frist. Sollten Vermieterinnen auch diese verstreichen lassen, folgt die nächste Aktion und so weiter. Dabei wird sich im Zuge der Eskalation an verschiedenen Öffentlichkeiten orientiert: Für manche Vermieterinnen ist ein Medienbericht unangenehmer, für andere Plakate rund um ihren Firmensitz. Wichtig ist es, die verschiedenen Stufen mit einer Frist anzukündigen. Unser Ziel muss es sein, dass unser Gegenüber uns als zuverlässigen Verhandlungspartner wahrnimmt. Das bedeutet, dass die Mieterinnengewerkschaft den Vermieterinnen sowohl einen Handlungszeitraum gibt als auch, dass nach Verstreichen einer Frist zuverlässig Ankündigungen umgesetzt werden.
Aller Erfahrung nach dauert es häufig nicht lange, bis Vermieterinnen entweder die Forderungen (teil-)umsetzen oder in Verhandlungen treten. Diese führen dann entweder zu einem Ergebnis, mit dem wir zufrieden sind oder die Mieterinnengewerkschaft nimmt die Eskalationsstrategie – ähnlich wie Arbeitsgewerkschaften in einer Tarifauseinandersetzung – wieder auf. Wann der Kampf endet, entscheiden wir gemeinsam. Wenn Ziele erreicht sind, ist es auch wichtig, Erfolge gemeinsam zu feiern, denn daraus schöpfen alle Beteiligten Kraft.
Boycott !
Charles Boycott war Ende des 19. Jahrhunderts Immobilienverwalter in Irland und vertrat dort Eigentümer*innen gegenüber pachtenden Bauern und Bäuerinnen. Aufgrund seiner üblen Geschäftspraxis zerrüttete sein Verhältnis zu diesen derart, dass sie die Öffentlichkeit aufriefen keinerlei Kontakte mehr mit ihm zu pflegen. Ihre Kampagne bewirkte, dass tatsächlich niemand mehr mit Boycott Geschäfte machte und sogar die Eisenbahn es ablehnte, sein Vieh zu transportieren (Handelsblatt, 25.1.2008, hier verfügbar). Der Begriff Boykott entstand so aus jenem Mietenkampf und erinnert an die Wirksamkeit breiter solidarischer Bündnisse.
5. Juristische Schritte gegen die Verdrängung
5.1 Die schriftliche Kündigung des/der Eigentümer*in
Zunächst erhalten die Mietenden ein Schreiben von dem/der Eigentümer*in, aus der eine Kündigung aufgrund von begründetem Eigenbedarf formuliert ist. Ein solches Schreiben sollte immer sofort rechtlich geprüft werden, denn sie könnte fehlerhaft sein. Falls zum Beispiel eine Vollmacht fehlt, kann die Kündigung nach § 174 BGB innerhalb von 10 Tagen zurückgewiesen werden. Diese und weitere Optionen kann eine juristische Beratung prüfen. (Ausführliche Informationen dazu finden sich auch hier.
Da das Kündigungsschreiben zentral für alle folgenden Auseinandersetzungen mit dem/der Vermieter*in ist, zählt jedes Detail. Hebt Euch den Brief und den Briefumschlag (!) auf und notiert Euch, wann Ihr den Brief erhalten habt.
Wir möchten es hier klar benennen: Wenn Vermietende eine Kündigung aussprechen, drohen sie Mietenden ganz klar, und signalisieren, „wenn Du nicht gehst, dann lassen wir die Wohnung räumen.“ Ein Gespräch auf Augenhöhe ist unter diesen Umständen völlig unmöglich. Deshalb haltet Ihr absolute Funkstille gegenüber dem/der Vermieter*in und äußert Euch nur in Rücksprache mit Eurer rechtlichen Beratung.
Wenn ihr wenig Geld habt, und nicht über einen Mieterverein abgesichert seid, könnt ihr Beratungs- und Prozesskostenhilfe beanspruchen. Eure Anwältin oder euer Anwalt kennen sich mit dem Antrag sicher gut aus.
Falls Ihr Euch direkt auf Wohnungssuche begebt, notiert Euch jede Bewerbung. Das kann später hilfreich in einem Räumungsverfahren sein, falls Ihr nicht rechtzeitig ausziehen könnt. (Dazu erklären wir unten mehr, im Abschnitt „Härtefälle“.)
Sollten Krankheiten vorliegen, sollten Mietende diese nun diagnostizieren und attestieren zu lassen. Ärztliche Atteste und andere schriftliche Nachweise können für einen möglichen Härtefallwiderspruch von großer Relevanz sein. Aufgrund der Wartezeiten für Termine bei Fachärzt*innen empfiehlt es sich frühzeitig damit zu beginnen.
5.2 Alle Angaben überprüfen!
In manchen Bezirken beträgt der Anteil an Kündigungen mit vorgeschobenen, also fälschlich behaupteten, „Eigenbedarf“ laut unseren Schätzungen bis zu 80 % der Kündigungen. Wenn sich herausstellt, und im Prozess beweisen lässt, das ein „Eigenbedarf“ vorgeschoben ist, können Mietende vor Gericht gewinnen und ihre Wohnung behalten. Dafür ist es notwendig, vor Gericht zu gehen. Alle Informationen dazu weiter unten im Abschnitt „Räumungsprozess“. Um diese Chance zu nutzen, sollten Betroffene alle Angaben zum „Eigenbedarf“ prüfen (lassen). Im Nachhinein kann man den Schaden kaum mehr geltend machen, da „Eigenbedarf“ nur für die Zeit der Kündigungsfrist bestanden haben muss.
Bei einer „Eigenbedarfskündigung“ hat der/die Mieter*in ein berechtigtes Interesse in das Grundbuch (GB) einzusehen. Das GB wird vom Grundbuchamt geführt und enthält alle Informationen über die Eigentumsverhältnisse von Immobilien. Über das Grundbuchamt lässt sich als Erstes prüfen, ob z.B. der/die Käuferin*in Eurer Wohnung zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung bereits im GB eingetragen war. Das ist wichtig, denn nur wer im GB eingetragen ist, kann tatsächlich kündigen. Darüber hinaus ist es interessant, ob sie/er noch andere Häuser oder Wohnungen hat, in dem sich möglicherweise freistehende oder freiwerdende Wohnungen befinden, in die die Angehörigen oder der/die Eigentümer*in selbst einziehen könnten. (Dazu sind sie zwar nicht verpflichtet, aber es lässt Zweifel an der Notwendigkeit der Entmietung aufkommen, wenn sie mögliche Alternativen nicht nutzen.) Die Rechtsgrundlage für diese erweiterte GB-Einsicht ist eine Entscheidung des Landgerichts Mannheim, Beschluss v. 22.1.1992, 6 T 26/91, WuM 1992 S. 130.
Es besteht auch ein Anspruch auf Einsicht in die Grundakte, in der z.B. die Kaufverträge zu finden sind. Mieter*innen, die Mietverträge mit ehemals landeseigenen Wohnungsgesellschaften (z.B. GSW) abgeschlossen haben, können in den Kaufverträgen besonders geschützt sein, da das Land Berlin für sie einen Kündigungsschutz vereinbart hat und die Verpflichtung, diesen bei jedem Verkauf weiterzugeben. In das Grundbuch können mittels Vollmacht auch andere für den/die Mieter*in einsehen. Egal ob persönlich oder mittels Vollmacht, es lohnt sich dieses Recht zu nutzen.
Verschiedene weitere Ämter sind in einem solchen Fall ebenso auskunftspflichtig und es gibt zahlreiche weitere Wege zur Informationsbeschaffung zum/zur kündigenden Eigentümer*in. Die gesammelten Materialien können gegebenenfalls für die Öffentlichkeitsarbeit verwendet werden. Denn Verdrängung und Entmietung wird auch in der Öffentlichkeit als anstößig gesehen und ein Bekanntwerden der Praxis kann den Kündigenden durchaus schaden (siehe dazu die Geschichte von Charles Boycott). Es wurden auch schon Kündigungen abgewendet, indem Abgeordnete oder Politiker*innen sich für die Mieter*innen gegenüber dem/der Eigentümer*in eingesetzt haben. Diese Herangehensweise muss sehr sorgfältig mit den rechtlichen Schritten abgestimmt werden. Lasst euch dazu in jedem Fall durch Initiativen und unbedingt auch anwaltlich beraten!
Mit anwaltlicher Hilfe kommen folgende Schritte auf Euch zu:
5.3 Der Kündigung widersprechen
Die Mietenden können der Kündigung schriftlich widersprechen. Im Widerspruchs-Schreiben erklären sie, dass eine Räumung der Wohnung für sie aktuell unmöglich ist. Der Widerspruch ist eine Absicherung für die Mietenden: Falls es zu einem Gerichtsverfahren kommt und das Gericht die Kündigung des/der Vermieter*in als rechtmäßig anerkennt, eröffnet der frühere Widerspruch eine letzte Interessenabwägung zwischen den Interessen des Vermieters und der Mieter*innen, die Härtefallprüfung. Deshalb sollten betroffene Mieter*innen möglichst den Widerspruch einlegen.
Wann der Widerspruch erhoben wird, ist dabei nicht egal, denn ein zu früh erhobener Widerspruch kann dem/der Vermieter*in die Möglichkeit geben, sofort eine Räumungsklage zu erheben und dann verlieren die Mieter*innen wertvolle Zeit, um sich auf diesen Gerichtsprozess vorzubereiten oder auch eine neue Wohnung zu suchen. Vermietende müssen bei der Kündigung über die Möglichkeit des Widerspruchs belehren und über die entsprechende Frist. Vergisst der/die Vermieter*in auf die (2-monatige) Frist hinzuweisen, kann der Widerspruch auch noch bis zur Mündlichen Verhandlung der Räumungsklage erhoben werden. Diese Spielräume können Mietende taktisch nutzen.
Der Widerspruch muss eine bestimmte Form haben: Er muss schriftlich erfolgen, also auf Papier und mit Originalunterschrift. Auf Aufforderung des/der Vermieter*in soll er begründet werden, muss aber nicht. Der Widerspruch sollte im Original am besten per Bot*in zugestellt werden, zum Beispiel durch solidarische Personen; notfalls lohnen sich auch die Kosten für professionelle Fahrradbot*innen. Wenn die Gegenseite anwaltlich vertreten ist, kann an die Anwält*innen auch per Einschreiben mit Rückschein zugestellt werden. Es ist sehr wichtig, dass der Zugang bewiesen werden kann. Die Mietvertragsparteien selbst können keine Zeug*innen sein. Der Widerspruch muss am letzten Tag der Frist der Vermieter*innenseite zugehen, mindestens im Briefkasten.
Härtefälle
Mietende können die Kündigung auf Dauer oder für eine gewisse Zeit verhindern, wenn sie einen Härtefall vorweisen können. Ob der Härtefall ausreicht, entscheidet das Gericht. Wir möchten hier einige Beispiele geben:
- Menschen, die aufgrund von Krankheit bzw. Alter nicht umziehen können, werden von Gerichten häufig geschützt. Dazu müssen die Mietenden entsprechende Atteste sammeln und vorlegen.
- Mietenden können sich außerdem auf das knappe Wohnungsangebot berufen, indem sie ausführlich dokumentieren, wann und wo sie sich erfolglos um eine neue Wohnung bemüht haben.
Manche Widerspruchsgründe verlängern vielleicht das Mietverhältnis nur um eine gewisse Zeit, z.B.
- die schulische Bildung von Kindern, z.B. wenn sich ein Kind in der Abiturphase befindet, oder
- die Pflegebedürftigkeit von Angehörigen.
5.4 Räumungsprozess
Wenn der/die Vermieter*in an der Kündigung festhält, muss er nach Ablauf der Frist eine Räumungsklage vor Gericht einreichen. Das bedeutet, der/die Vermieter*in ist vor Gericht Kläger*in. Die Mietenden sind die Beklagten. Im Prozess entscheidet das Gericht dann, ob die Kündigung wirksam war oder nicht, bzw. ob die Räumung in Härtefällen einige Monate aufgeschoben wird.
Spätestens wenn ein (gelber!) Brief eines Gerichts mit der Räumungsklage im Briefkasten gefunden wird, braucht es eine mietrechtliche Vertretung, und das so schnell wie möglich, denn es laufen Fristen.
Der gelbe Umschlag, in dem sich der Brief befindet, sollte aufgehoben werden, da dort das Zustellungsdatum vermerkt wird, ab dem sich die Fristen berechnen. In der Regel müssen die Mietenden innerhalb von zwei Wochen reagieren.
Die Miete muss unbedingt weiter gezahlt werden, auch während das Räumungsverfahren läuft. Wenn das Jobcenter die Miete zahlt, muss das Jobcenter auch weiter die Miete zahlen, denn solange die Beklagten in der Wohnung leben, bildet die vereinbarte Miete weiter die tatsächlichen Kosten der Unterkunft.
Das Gericht (in der Regel Amtsgericht) wird im Rahmen des Verfahrens in der ersten Phase prüfen, ob ein Eigenbedarf besteht, und ob dieser richtig dargelegt ist. Für den Eigenbedarf ist die Kläger*innenseite beweisbelastet, deswegen muss hier alles bestritten werden, was die Eigentümer*innen behaupten. In der Regel vernimmt das Gericht Zeug*innen, die die Kläger*innenseite benennt. Wenn die Behauptungen der Eigentümer*innen hier entkräftet werden können, war die Kündigung rechtsmissbräuchlich und damit unwirksam. Das Gerichtsverfahren ist damit beendet und das unbefristete Mietverhältnis besteht fort.
Andernfalls, wenn der Eigenbedarf zur Überzeugung des Gerichts vorliegt, kommt es zu einer zweiten Phase, der Härtefallprüfung. Hier wird untersucht, ob die mit dem Widerspruch erhobenen Härtegründe auf Mieter*innenseite gegen eine Räumung vorliegen und ob diese Gründe das Eigenbedarfsinteresse der Kläger*innenseite überwiegen. In dieser Phase ist die Mieter*innenseite beweisbelastet. Außerdem kann die Räumung in dieser Phase häufig nur verzögert, aber nicht komplett abgewendet werden. In der zweiten Phase sind die Mietenden also in einer deutlich schwierigeren Position als in der ersten Phase.
Wir erläutern beide Phasen nun im Detail.
Phase 1)
Kündigungsgründe in Frage stellen
Widerlegen die Mietenden die Kündigungsgründe, wird die Räumungsklage abgewiesen. Dazu müssen in der Regel die persönlichen Umstände der Person(en) untersucht werden, die in die Wohnung einziehen soll(en).
Im Kern stehen zwei Fragen:
- Gibt es Anzeichen, dass die Person gar nicht in der Stadt bzw. in der Wohnung wohnen möchte? Das könnte zum Beispiel eine frische Anstellung in einer ganz anderen Stadt sein.
- Falls die Person ein/e Angehöriger des/der Vermieterin ist: Besteht zwischen beiden ausreichende Nähe, so wie üblicherweise zwischen Kindern und ihren Eltern? Zum Beispiel kann das bei Nichten/Neffen in manchen Fällen zutreffen, in vielen Familien aber nicht.
In dieser Phase des Verfahrens kommen die gesammelten Informationen über die Eigentumsverhältnisse und Lebensumstände der angeblich wohnungsbedürftigen Person also zum Einsatz. Also auch mögliche Erkenntnisse einer vorab beauftragten Detektei.
Phase 2)
Härtefallabwägung
In der Härtefallprüfung liegt die Beweislast bei den Beklagten, also den Mieter*innen. Sie müssen nun Dokumente und Nachweise vorweisen, die belegen, dass sie die Wohnung momentan nicht verlassen können. Dazu können sie z.B.
- ärztliche Atteste vorlegen
- ausführliche Listen mit Wohnungsbewerbungen (Bewerbungen aufheben, Emails mit Ablehnungen, Listen)
- und Ähnliches anbringen
Vorsorglich wird außerdem eine Räumungsfrist und Vollstreckungsschutz beantragt. Die Räumungsfrist tritt in Kraft, falls die Mietenden zur Räumung verurteilt werden. Das Gericht kann höchstens 12 Monate festlegen. Der Vollstreckungsschutz sichert die Mieter*innen ab, so dass ihre Wohnung nicht geräumt werden kann, während sie gegen das erstinstanzliche Urteil in Berufung gehen. Beides sind also vorsorgliche Schritte, für den Fall, dass die Umstände der Mietenden vom Gericht nicht als Härtefall anerkannt werden.
Gegen ein Urteil auf Räumung in der ersten Instanz kann unter Umständen Berufung eingelegt werden. Damit lässt sich Zeit gewinnen und manchmal kann auch in der zweiten Instanz die Räumungsklage noch abgewiesen werden. Das geht nur mit anwaltlicher Vertretung und wird in der Regel vor dem Landgericht verhandelt.
Ein Antrag auf Verlängerung der Räumungsfrist muss 14 Tage vor Ablauf gestellt werden. Als Nachweise müssen wieder Attest und/oder Wohnungsbewerbungen, evtl. spätere Anmietung einer Wohnung vorgelegt werden. Insbesondere eine Verlängerung zur Überbrückung (bis die neu angemietete Wohnung bezogen werden kann) wird in der Regel gewährt.
5.5 Prozesskostenhilfe
Wer es sich finanziell nicht alleine leisten kann und für den keine Rechtsschutzversicherung die Kosten übernimmt, sich gegen die Räumungsklage zu verteidigen, kann Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt werden. Bei Eigenbedarfskündigungen wird PKH in der Regel gewährt. Dann übernimmt der Staat die Kosten der eigenen Anwält*innen und der Gerichtskosten, auch wenn die Miete*innen verlieren. Die Kosten der Gegenseite (vor allem deren Anwält*innen) müssen aber bezahlt werden. Außerdem wird auch der Staat innerhalb der nächsten vier Jahre immer wieder versuchen sich die PKH-Zuschüsse zurückzuholen, wenn sich etwas an der finanziellen Situation der Mieter*innen ändert.
Für den Antrag auf Prozesskostenhilfe muss die finanzielle Situation mit Nachweisen dargelegt werden. Dafür werden meist die Kontoauszüge der letzten drei Monate vom Gericht gefordert, sowie der Mietvertrag, etwaige Versicherungsverträge, der Arbeitsvertrag oder der Leistungsbescheid des Jobcenters.
6. Vermietende für Rechtsmissbrauch ahnden
Strafverfahren
Stellt sich im Zivilprozess um die Kündigung heraus, dass der/die Vermieter*in lügt, kann das sowohl ein Strafverfahren als auch einen Schadensersatz für die betroffenen Mietenden bewirken. Vor Gericht zu lügen, ist eine Straftat, nämlich Meineid, und die Justiz verfolgt solche offensichtlichen Fälle besonders stringent. Wenn das Strafverfahren dennoch vorschnell eingestellt wird, können betroffene Mieter*innen dagegen Beschwerde einlegen. Kam es allerdings gar nicht erst zu einer Gerichtsverhandlung über die Kündigung, dann ist es eher unwahrscheinlich, dass eine Lüge des Vermieters oder der Vermieterin strafrechtlich verfolgt wird. Hieran wird deutlich, dass Gegenwehr gegen „Eigenbedarf“ vor Gericht sehr sinnvoll ist, um Eigentümer*innen von unlauteren Kündigungen abzuschrecken.
Schadensersatz
Unabhängig vom Strafverfahren ist der Schadensersatz. Ein Schadensersatz bedeutet, dass der/die Vermieter*in die Mietenden für ihre Schäden (teurere Miete, Umzugskosten, doppelte Mietbelastung während des Wohnungswechsels) entschädigen muss. Im Nachhinein kann der Schaden schwer geltend gemacht werden, da der Eigenbedarf für die Zeit der Kündigungsfrist widerlegt werden muss. Nur wenn das gelingt, gibt es einen (finanziellen) Schadenersatzanspruch. Eine Recherche empfiehlt sich also schon frühzeitig, damit Kontinuierlichkeiten belegt werden können, die einen Gesinnungswechsel unglaubwürdig machen.
Er hängt nicht davon ab, ob man „freiwillig“ auszieht oder geräumt wird: Den Mietenden steht sogar ein Schadensersatzanspruch zu (nach den Grundsätzen der positiven Vertragsverletzung), wenn der/die Vermieter*in entweder eine Eigenbedarfskündigung androht oder sich darauf beschränkt, „Eigenbedarf“ anzumelden, und die Mietenden daraufhin ohne Gegenwehr ausziehen. (LG, Urteil vom 19. Dezember 1997 , Az: 13 B S 135/97). Die Gerichte erkennen damit korrekterweise an, dass Mietende bei einer drohenden Räumung gar nicht selbstbestimmt oder „freiwillig“ ausziehen können. Nur, wenn es im Gerichtsprozess einen Räumungsvergleich gibt, also eine Einigung zwischen Mietenden und Vermieter*in, dann entfällt der Schadensersatzanspruch (Amtsgerichts Mannheim, Urteil vom 23.3.2012, 9 C 452/11). Deshalb sollte ein Vergleich mit dem/der Vermieter*in definitiv die Kosten berücksichtigen, die die Verdrängung für euch auslöst bzw. ausgelöst hat.
Prozesskosten
Die Seite, die das Gerichtsverfahren verliert, muss außerdem der erfolgreichen Seite die Prozesskosten erstatten, d.h. Kosten für anwaltliche Beratung und Vertretung und ggf. z.B. die Kosten einer Detektei. Insbesondere für Detekteikosten gelten aber Regeln, die wir hier kurz erklären.
Einsatz und Kosten von Detekteien
Wichtig: Der/die Mieter*in kann nicht ohne jede Notwendigkeit, und ohne dass er/sie einen konkreten Auftrag erteilt bzw. erteilen kann, eine Detektei ermitteln lassen. Es sollten also schon sehr konkrete und ernsthafte Zweifel an dem behaupteten Eigenbedarf vorliegen, so dass der/die Mieter*in die Detektei konkret und gezielt ansetzen kann. Damit hat die Rechtsprechung dem einen Riegel vorgeschoben, dass praktisch bei jeder Eigenbedarfskündigung erst einmal eine Detektei mit der Nachprüfung beauftragt wird (LG Berlin, Beschluß v. 9.12.1997, Az 84 T 792/97).
Schalten die Mietenden zur Abwehr einer zweifelhaften Eigenbedarfskündigung eine Detektei ein, so sind ihre Erkenntnisse im Räumungsprozess grundsätzlich verwertbar ( LG Berlin, Urteil v. 23. Juli 1991, Az 65 S 403/89, auch LG Gießen, 26. 4. 1989 1 S 122/89). Die Einschaltung einer Detektei zur Klärung des mit der Kündigung geltend gemachten Eigenbedarfs kann aus der Sicht einer vernünftigen Mieterin sachgerecht sein. Die entstandenen Kosten sind dann als Prozesskosten zu berücksichtigen. (LG Köln, BE v. 31. August 1999, Az 1 T 211/89). Bedarf es für die Widerlegung des von dem/der Vermieter*in geltend gemachten Eigenbedarfes der Beauftragung eines Detektivs durch die Mietenden, so sind die Kosten des Detektivs von dem/der Vermieter*in als Schadensersatz zu erstatten, dazu gibt es viele übereinstimmenden Urteile.
7. Psychologische Dimension – Auswirkungen und Hilfe / Selbsthilfe
Eine „Eigenbedarfskündigung“ trifft Mieter*innen auch psychisch ausgesprochen hart. Dies steigert sich noch dadurch, dass in Berlin (und auch anderen Städten) keine oder kaum vergleichbare Ersatzwohnungen für die Betroffenen zur Verfügung stehen oder gestellt werden. Die Mieten sind für die meisten Stadtbewohner*innen durch die stadt- und bundespolitischen Entscheidungen auch in Randbezirken unbezahlbar geworden. Umso schwerer wiegt natürlich ein drohender Verlust von Wohnraum. Allerdings lässt sich Wohnraum nicht auf bewohnbaren Raum reduzieren: Eine Wohnung – das sind nicht nur vier Wände, das ist der Lebensmittelpunkt, Schutzraum und Sicherheit für die Bewohner*innen. Sie haben ihre Schulen, Kitas, Arbeit, medizinische Betreuung, Pflege, soziale Einrichtungen, Freizeitangebote, Beziehungen und vieles mehr an ihrem Wohnort. → Jeder Kiez und jede Nachbarschaft sind ein Ökosystem, ein komplexes Gefecht von sozialen Beziehungen, in dem Anwohner*innen miteinander leben und kooperieren.
Die Möglichkeit zur Eigenbedarfskündigung macht Wohnen für Mieter*innen unsicher.
Makler*- und Verkaufsbesichtigungen bedeuten bereits einen erheblichen Kontrollverlust für Mieter*innen. Manche Betroffene berichten, dass sie schon mit der Kaufbesichtigung das (bis dahin selbstverständliche) Gefühl der Sicherheit verlieren. Die Wände werden gewissermaßen durchsichtig. Vollkommen fremde Menschen haben plötzlich Zugriff auf die eigene Wohnung. Das bedeutet einen enormen Kontrollverlust.
Mit der Aussicht auf eine Wohnungskündigung kann eine starke Verunsicherung einhergehen, deren Ausmaß auch hart gesottene überraschen kann. Der Kontroll- und Sicherheitsverlust und die Bedrohungssituation können sogar psychische und körperliche Folgen für die Betroffenen haben. Initiativen, die sich schon viele Jahre solidarisch mit „Eigenbedarfskündigungen“ befassen, bezeichnen diese Praxis daher auch als eine Form von Körperverletzung.
Menschen sind unterschiedlich und reagieren unterschiedlich auf diese Form der Gewalt.
Manche Betroffene berichten von Alpträumen, Schlafstörungen, von Angst und von Verstimmungen, andere von gesundheitlichen oder psychischen Problemen. -> Nichts davon muss eintreffen und dennoch ist es wichtig für Betroffene zu wissen, dass sie in ihren Grundbedürfnissen in dieser Situation so stark angegriffen werden, dass starke Reaktionen und Unwohlsein logische Reaktionen auf die Situation sind.
Auch die Aussicht auf einen Prozess und die lang anhaltende Unsicherheit während desselben können ihnen zusetzen. Es gibt gelegentlich Angebote zur psychologischen Beratung bei solchen Formen von Gewalterfahrung bzw. gesellschaftlichen Missständen. Scheut euch nicht, uns anzusprechen. Diese Probleme sind keine individuellen Probleme.
Mit der Situation lässt sich auf unterschiedliche Weise umgehen. Die solidarische Unterstützung des Umfelds und der Nachbarschaft können auch ein wesentlicher Faktor für das Wohlbefinden der Betroffenen sein, unabhängig davon, wieweit sie sich wehren und welche Schritte sie unternehmen. Manche Mieter*innen erfahren viel Unterstützung und Solidarität, nachdem sie sich im Haus, Kiez oder Bezirk vernetzt haben. Bekannte, Nachbar*innen und Verwandte lassen sich in unterstützende Recherche oder bei Wohnungsbesichtigungen und Prozess miteinbeziehen.
Manchen hilft es, zu handeln und sich zu wehren. Damit lässt sich die Selbstbestimmung zu einem gewissen Grat wiedererlangen. Umso besser natürlich, wenn dies auch erfolgreich ist. Manche engagieren sich später bei anderen Prozessbegleitungen oder gründen eine Initiative zum Thema.
Für alle Fälle gilt, zu wissen, dass mensch in der Situation nicht allein sind, kann sehr hilfreich sein!
Den Entmietungswunsch als etwas zu betrachten, dass in einer demokratischen, auf das Gemeinwesen ausgerichteten Stadt zu keinem Preis akzeptabel wäre, ist eine hilfreiche Betrachtungsweise. Selbst wenn Eigentümer*innen sehr fantasiereiche Gründe für ihren Bedarf anführen, ist der Mieter*inneneigenbedarf des Betroffenen ja faktisch offensichtlich. Die Legitimität des Entmietungswunsches ist daher per se anzuzweifeln.
Unfreiwilliger Auszug bedeutet zudem eine erhebliche Störung des sozialen Gefüges des Viertels und seiner vielfältigen lebenswichtigen Wechselwirkungen. Dass eine solche Regelung Anwendung findet, ist Ausdruck von politischen Entscheidungen gegen das Gemeinwesen. Entmietung durch Eigenbedarf bedeutet häufig Verdrängung und Gentrifizierung. Zudem sind Entmietungen in vielen Fällen eine Methode zur Verwertung von Wohnraum. Teure Neuvermietung und Leerverkauf erzielen höhere Gewinne und Leerstand oder Zweckentfremdung können die Folge sein.
Viele der bedrohten Kiezbewohner*innen stehen diesen Entwicklungen ohnmächtig gegenüber.
Deswegen ist es umso wichtiger, was die Initiative Eigenbedarf kennt keine Kündigung bei einer Informationsveranstaltung betont: „Wir alle können dazu beitragen, dass Betroffene sich aufgehoben fühlen, indem wir uns zusammenschließen, uns wehren, und aus dieser passiven Haltung herauskommen.“
Die folgende Geisteshaltung gegenüber dem Prozess kann hilfreich sein:
- ein Gerichtsprozess, in dem überprüft wird, ob der Bedarf tatsächlich besteht, dauert sehr lange. Selbst wenn man einen Prozess verliert, erhält mensch noch weitere (Räumungs-)Fristen, die mensch zur Wohnungssuche verwenden kann
- möglichst lange Wohnen bleiben (alle Schritte nutzen, alle Fristen ausreizen)
- die Motive des/der Eigentümers/in und Legitimität der Kündigung grundsätzlich anzweifeln
- auch ein legaler „Eigenbedarf“ ist verachtenswert, die Eigentümer*innen stürzen Menschen in Not!
- langer Atem, Marathon planen: jedes weitere Jahr in der Wohnung ist ein Erfolg! Denn häufiger werden Wohnungen nach erfolgloser Räumungsklage verkauft und von neuen Käufern*innen möglicherweise erneut gekündigt
- z.B. Besichtigungen zur Party machen durch solidarische Begleitung, Prozessbegleitung—die entstehende Vernetzung kann auch ein Gewinn sein.
8. Politische Forderungen und Schranken
Politisch-demographische Lage
Entmietung mithilfe von Eigenbedarfskündigungen hat schon Zehntausende Berliner*innen aus ihren Wohnungen verdrängt und droht in den kommenden Jahren nochmal Zehntausende zu verdrängen. Die rechtliche Grundlage (i) der Aufteilung der Mietshäuser; (ii) des Handels mit einzelnen Wohnungen; (iii) der Kündigung der Mietenden; und (iv) der Räumung der Wohnungen bilden Bundesgesetze, die durch Jahrzehnte politischer Konflikte und (Fehl-)Entscheidungen entstanden sind. Aber genau jetzt, im Angesicht einer weiteren drastischen Verdrängungswelle, die das soziale Gefüge ganzer Viertel wegspült, sind Änderungen an diesen Gesetzen undenkbar. Selbst das stadtweite Aufteilungsmoratorium (§ 250 BauGB, Abs. (1)) läuft am 31.12.2025 ab und hat mit den aktuellen parlamentarischen Mehrheiten keine Chance verlängert zu werden. Damit ist kurzfristig keine bundesgesetzliche Abhilfe zu erwarten.
Auch langfristig bestehen kaum Chancen. Die verfassungsmäßige Kompetenz für Mietverhältnisse liegt mittlerweile unverrückbar auf der Bundesebene, so dass die Berliner Mietenden trotz ihrer statistischen Supermehrheit von 80% in der Stadtgesellschaft ihr Schicksal nicht fundamental durch Landesgesetze verändern können. Bundesweit haben Mietende keine politische Mehrheit, denn sie stellen zwar 58% der Haushalte, aber nur knapp 50% der Bevölkerung (Statistisches Bundesamt, Fachserie 15 Sonderheft 1, EVS 2018). Zusätzlich fehlen Mietenden die politischen Privilegien, die Eigentümer*innen häufig durch ihr strukturell höheres Einkommen und Vermögen genießen. Dass Mietende bundesweit eine politische Mehrheit bilden, könnte höchstens aufgrund einer massiven Konzentration des Wohneigentums bei vormaligen Eigenheimen und Eigentumswohnungen geschehen. Eine solche Konzentration zeichnet sich aber nicht ab, im Gegenteil, schreitet die Aufteilung von ehemaligen Mietshäusern in Berlin weiter voran, von 11% im Jahr 1998 auf 17,4% Eigentumsquote im Jahr 2018 (Statistisches Bundesamt, Eigentümerquote nach Bundesländern im Zeitvergleich, Stand 26. Mai 2020). Bundesweit stieg die Eigentumsquote im gleichen Zeitraum von 40% auf 46% (ebenda). Somit ist eine bundespolitische Mehrheit der Mietenden auf absehbare Zeit ausgeschlossen.
Grenzen der Verfassungsrechtsprechung
Das Bundesverfassungsgericht beschränkt den gesetzlichen Mieter*innenschutz, insbesondere rund um das sogenannte „Erlangungsinteresse“ der Eigentümer*innen. Stark verkürzt, argumentiert das Gericht, dass Mietende zwar einen eigentumsähnlichen Anspruch auf den Besitz ihrer Wohnung haben, aber da dieser Anspruch sich aus dem Grundrecht der Vermietenden ableitet, müssen jene einen analogen Anspruch auf den Besitz der Wohnung haben, den sie bei berechtigtem Interesse gegen die Mietenden durchsetzen (lassen) können (6. Mai 1993, 1 BvR 208/93). Aus dieser Logik schlussfolgert das Gericht, dass sogenannte Eigenbedarfskündigungen durch Änderungen am einfachen Mietrecht nicht komplett abgeschafft werden können.
Wohlgemerkt beschränkt das Gericht damit nicht den Ausschluss sogenannter Eigenbedarfskündigungen im Mietvertrag oder Kaufvertrag. Wie oben bereits angemerkt, gibt es (z.B. aufgrund der GSW-Privatisierung) Mietverhältnisse in Berlin, in denen Mietende auch vor dem „Erlangungsinteresse“ zukünftige Eigentümer*innen geschützt sind. Es ist vorstellbar, dass eine starke Mieter*innenbewegung solche Schutzklauseln flächendeckend in Mietverträgen durchsetzt.
Langfristig wäre denkbar, dass kritische Staatsrechtler*innen eine alternative Herangehensweise an das Mietrecht entwickeln, als oben beschrieben. Parallel könnten sich gesellschaftliche Vorstellungen von Wohneigentum und dem Verhältnis zwischen Mietenden und Vermietenden ändern. Sollten diese Entwicklungen die herrschende Meinung am Bundesverfassungsgericht ablösen, wäre vorstellbar, dass die resultierende Verfassungsrechsprechung auch einen lückenlosen Bestandsschutz für Mietende zuließe, also die Abschaffung der „Eigenbedarfskündigung“. Wie diese Herangehensweisen, Ansichten und Rechtsprechungen lauten würden, ist nicht seriös absehbar. Nichtsdestotrotz wollen wir darauf hinweisen, dass auch Verfassungsrechtsprechung veränderbar ist.
Konkrete Forderungen von Initiativen und Verbänden
Aufgrund des verfassungsrechtlichen Rahmens beschränken sich die Forderungen vieler Initiativen und Verbände darauf, die Aufteilung von Mietshäusern in Eigentumswohnungen zu verhindern. Einerseits fordern sie eine Ausweitung des bestehenden Aufteilungsmoratoriums (§ 250 BauGB, Abs (1)) durch die Bundespolitik. Andererseits fordern sie für Berlin eine offensive Anwendung des Baurechts durch die Bezirksämter in den sogenannten „Milieuschutzgebieten“. Dort können Bezirksämter verhindern, dass Mietshäuser aufgeteilt werden, indem sie den Eigentümer*innen die sogenannte Abgeschlossenheitsbescheinigung vorenthalten (Quelle). Wohlgemerkt bieten diese Forderungen keine Perspektive für Mieter*innen, die in bereits aufgeteilten Mietshäusern wohnen.
Viele Initiativen stellen bewusst keine Forderungen an die parlamentarische Politik, sondern rufen wie die Mieter*innengewerkschaft Berlin (siehe auch Abschnitt 4) zu direkten Aktionen auf: darunter zum Beispiel solidarische Aktionen wie Besetzungen, Verhinderung von Zwangsräumungen oder auch solidarische Prozess- und Wohnungsbesichtigungsbegleitungen und organisieren diese auch selbst.
Fazit
Aus unserer Sicht illustrieren die politische Lage, die verfassungsrechtlichen Schranken, sowie die inadequaten Forderungen der Initiativen und Verbände, dass die anlaufende Verdrängungswelle nicht durch Gesetzesänderungen gestemmt werden wird. Es fehlen schlicht die politischen Mehrheiten, der politische Wille und die nötige Kreativität, um dem Problem wirksam zu begegnen. Mit unserem Text wollen wir deshalb Mietende anregen selbst tätig zu werden, gegen Entmietung und gegen die Verdrängung aus ihren Wohnungen und Kiezen. Der Text umfasst konkrete Schritte, mit denen sich Mietende wehren können und skizziert umfassend den Ablauf des Kündigungskonflikts.
Kein heimlich, still und leise mehr! Eigenbedarfskündigungen gehen alle an. Sie betreffen die Nachbarschaft, das Viertel und die Stadt. Die Aussichtslosigkeit rechtlicher Änderungen sollte uns dazu verleiten, umso vehementer die Kräfteverhältnisse, die diese Rechte definieren, zu verschieben. Den Entmietungswunsch nicht hinzunehmen ist ein erster Schritt. Solidarische Begleitung die Voraussetzung.
2. Auflage 9/24
Diese Broschüre ist aus der Zusammenarbeit der AG Recht der MGB mit dem Arbeitskreis Mietrecht des RAV und dem Arbeitskreis kritischer Jurist*innen der HU Berlin entstanden. Veröffentlicht unter CC-BY 2.0 DE. V.i.S.d.P. Dr. Lukas Theune, Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin